Wie
am 16. Juli die russische Informationsagentur "Nachrichten"
(RIA Novosti) mitteilte, hat der Bezirkstaatsanwalt von Novosibirsk
die strafrechtlichen Untersuchungen bezüglich der Versendung von
Leichen aus dem örtlichen Leichenschauhaus nach Deutschland beendet.
Anfänglich waren 14 Ärzte eines medizinischen Instituts in
Novosibirsk unter Verdacht, letztendlich wurden jedoch nur zwei der
Missachtung der Begräbnis- und Bestattungsregeln angeklagt. Ihre
Namen werden nicht genannt, um die laufenden Ermittlungen nicht zu behindern.
Die Ärzte werden angeklagt, ohne das in solchen Fällen unbedingt
notwendige Einverständnis der Angehörigen der Verstorbenen
das Kunstprojekt "Körperwelten" des Dr. Gunther von Hagens
unterstützt zu haben. Von Hagens ist der Gründer und Direktor
des Heidelberger Instituts für Plastination, mit dem eines der
medizinischen Institute in Novosibirsk einen Vertrag über die Bereitstellung
von Leichen geschlossen hatte.
In wenigen Worten zusammengefasst beruht die von von Hagens seit 1977
ausgearbeitete Methode der Plastination und der Konservierung des Körpers
auf der Ersetzung stofflicher Flüssigkeiten und Fette durch reaktive
Polymere, z.B. durch Silikon oder Polyester. Nach der Entwässerung
und der Entziehung der Fette gibt man den Körper in eine Lösung
aus Polymeren, nimmt eine Bearbeitung im Vakuum vor, nach der die Haut,
die nun anstelle der körperlichen Fette aus einer Plastikmasse
besteht, in ihrem Äußeren und in ihrer Struktur erhalten
bleibt.
Seine spezielle Methode ließ sich von Hagens zwischen 1987 und
1981 in Deutschland, England, Belgien, Österreich, Südafrika
und den USA patentieren. 1980 gründete er die Firma BIODUR, die
sich mit der Verbreitung der benötigten Polymere und der technischen
Ausrüstung auf dem Markt beschäftigt. 1993 schließlich
gründete er das Institut für Plastination in Heidelberg. Seine
Ausstellungen, die auf ein breites Publikum ausgelegt sind, reisen seit
1996 durch die Welt. Seit diesem Moment hat die "Industrie der
Unsterblichkeit" und mit ihr das Imperium von Hagens einen
festen Platz in der modernen Unterhaltungsindustrie.
Selbstverständlich benötigt das Unternehmen von Hagens
zu seiner Existenz eine gewisse ethische Unterfütterung neben jener,
die verkündet, der Wunsch des Kunden zu kaufen sei Gesetz genug
für den Verkäufer, und auch neben jener, die behauptet, die
"Körperwelten" dienen der Bildung des Menschen und seiner
Aufklärung bezüglich seiner eigenen Art und den Methoden der
zeitgenössischen Pathologie und Präparierung. Ein ganz wesentliches
Legitimationsmoment für von Hagens Institut sind die großzügigen
Spender, die ihm ihre Körper nach ihrem Tod vermachen, um sie für
wissenschaftliche und ethische Ziele zu verwenden. Die gerichtlichen
Untersuchungen in Novosibirsk bezüglich 56 Leichen und 400 Hirnpräparaten
werfen auf die Ziele und Methoden des Dr. von Hagens ein anderes Licht.
Somit
wird auch verständlich, warum sich unter den Exponaten einer der
ersten Ausstellungen von Hagens im Museum der Technik und der
Arbeit in Baden-Württemberg (30.10.1997-01.03.1998) derart zahlreiche
chinesische Präparate befanden, denn seit 1996 ist von Hagens Professor
der Medizinischen Schule in Dalian, China. Ebenfalls seit 1996 ist er
Direktor der Staatlichen Akademie für Medizin in Bischkek, Kirgizstan;
daher befinden sich in seiner Ausstellung auch Kirgisen, die 1997 ebenfalls
auf der Ausstellung gezeigt wurden.
Diese Übereinstimmungen kann man natürlich als pure Zufälle
abtun. Oder man kann sie der Missionarstätigkeit von Hagens
zuordnen. Oder aber man kann sie dem Bestreben des Menschen zurechnen,
in das Gedächtnis der Ewigkeit einzugehen, für das laut Boris
Groys Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellvertretend
das Museum steht. In Verbindung mit dieser selbsterschaffenen Mythologie
ist es interessant, dass die Biografie Dr. von Hagens, erschienen bei
Bastei Lübbe, den schönen Titel "Endlich unsterblich?"
trägt. Jedoch sollte man nicht vergessen, dass die Unternehmungen
von Hagens eindeutig von geschäftlicher Natur sind. Das Buch "Endlich
unsterblich?" kann man auf der Homepage von Körperwelten
www.koerperwelten.com
- bestellen, auch werden dort T-Shirts, Poster, Uhren, Mousepads, Rucksäcke,
Postkarten und andere Souvenirs mit den Bildern der präparierten
Leichen feilgeboten. Ebendort kann man auch die letzten Neuigkeiten
erfahren: Auf
den jüngsten Ausstellungen von Hagens in London und Seoul
war eine sportliche Serie zu sehen: Fahrradfahrer, Basketballspieler,
Torwarte, ein Hochspringer mit seiner Stange und Tänzer.
Geschäft ist Geschäft. Auch von Hagens Projekt funktioniert
nicht ohne Material. Und wenn das Material zu Ende geht, so muss man
neues kaufen unabhängig vom Grundgesetz Deutschlands, dessen erster
Paragraf die völlige Unantastbarkeit der menschlichen Würde
beinhaltet, eine Unantastbarkeit, die sich auch auf den Toten bezieht,
dem die gleichen Persönlichkeitsrechte eingeräumt werden wie
dem Lebenden.
Die Gerichtsverhandlung in Novosibirsk kann wohl kaum tiefergehend auf
die Vorgänge im Imperium des Dr. von Hagens einwirken. Jedoch gelingt
es ihr höchstwahrscheinlich, dass die Funktionsmechanismen in diesem
Imperium unter einem neuen Licht gesehen werden.
Übersetzt von Sandra Frimmel(Berlin)