Am
11. Juni fand im Künstlercafé "Herrenloser Hund"
eine Dichterlesung mit dem Petersburger Poeten Dmitrij Golynko-Wolfson
und dem Amerikaner Edic Shenderovich statt. Jedoch wurde nicht die Lesung
selbst die übrigens so langweilig und kraftlos war wie ähnliche
Ereignisse dieser Art zum wichtigsten Ereignis des Abends, sondern
die Prügelei vor dem Hotel "Europa" zwischen dem bekannten
Kunstkritiker Andrej Chlobystin und dem Star des Moskauer Aktionismus
der 90er Alexander Brener. Der Zusammenstoß zwischen den beiden
bahnte sich bereits zu Beginn der Lesung an. Laut einer der kursierenden
Versionen schlug Chlobystin Brener, entweder im Ernst oder tatsächlich
nur als Scherz, vor, sich bei Malevitsch zu entschuldigen: Die bekannteste
Aktion Breners, für die er in Holland eine Gefängnisstrafe
absitzen musste, bestand darin, dass er mit grüner Sprayfarbe ein
Dollarzeichen auf ein suprematistisches Gemälde Kasimir Malevitschs
im Stedelijk Museum in Amsterdam sprühte. Laut einer weiteren Version
warf Chlobystin Brener vor, dass dieser die Revolution zum Theater mache
und selbst vom Geld der Bourgeoisie lebe. Zu erraten, was weiter geschah,
ist nicht sonderlich schwer, da die aufgestellten Thesen von Brener
als Anleitung zum Handeln verstanden wurden was dann auch schnell
ausgeführt wurde. Chlobystin musste einen Schlag mit der Rechten
einstecken, die Anwesenden warfen sich dazwischen und versuchten, die
Streitenden auseinander zu bringen, womit die erste Runde des Kampfes
beendet war.
Während der Auszeit des Zweikampfes konnten sich die Teilnehmer
den dichterischen Werken Edic Shenderovichs (USA) und Dmitrij Golynko-Wolfsons
(St. Petersburg) hingeben. Edic Shenderovich, der in San Francisco lebt,
hat sich der Pflege der verlorengegangenen Fähigkeit zu erzählen
verschrieben. Offensichtlich nicht über die Geschehnisse unterrichtet,
wunderte er sich im Laufe des Abends sehr darüber, warum die Zuschauer
nicht lacthen, was ansonsten bei seinen Lesungen immer der Fall ist.
Dmitrij Golynko-Wolfson, Autor der Gedichtbände "Homo scribens",
"Direktoria" und anderer zahlreicher wissenschaftlicher und
poetischer Publikationen, las Fragmente aus seinen Werken "Elementare
Dinge" und "Bettontauben". Die Lesung dauerte wie angekündigt
eine Stunde und ließ die Zuhörer in eine unerträgliche
Langeweile versinken. Jedoch stellte sich anschließend heraus,
dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm war. Am Ende der Lesung schlug
Chlobystin, der auf eine Revanche wartete, Brener vor, den Kampf fortzusetzen.
Dieser schlug vor, auf die zahlreichen Polizisten auf dem Platz der
Künste verweisend, sich einen ruhigeren Ort zu suchen. Im Endeffekt
suchten sich Brener und Chlobystin einen der Torbögen in der Nähe
des Hotels "Europa" aus. Dem Publikum blieb nichts übrig,
als auf die Streithähne zu warten. Sieben Minuten später tauchten
die beiden sichtlich angeschlagen wieder auf. Soweit ich mich erinnere,
hatte Chlobystin eine aufgeplatzte Lippe. Die Zuschauer, die bis dahin
geduldig gewartet hatten, verstand nun, dass sie Zeugen des "Zweikampfes
des Jahrhunderts" geworden war.
Interessant ist es zu bemerken, dass seit dem Erscheinen Breners und
Schurzs in Petersburg Mitte Mai solche "Schlägereien ohne
Regeln" schrittweise zu etwas Alltäglichem werden. Praktisch
nicht eine Veranstaltung verläuft ohne Skandal. Es reicht bereits,
an die Explosion während der Lesung Oleg Kuliks im Institut Pro
Arte zu erinnern, als Brener die Zuhörer beschuldigte, all ihre
Fragen seinen "sklavisch". Oder auch der Zwischenfall auf
der Lesung Breners und Schurzs in der Puschkinskaja 10, als Brener eine
Flasche Mineralwasser auf einen anwesenden Journalisten der jüdischen
Petersburger Jugendzeitung "Nirgendwohin", Leonid Tsytkin,
schleuderte. Anschließend versuchte Brener Tsytkin aus dem Saal
zu entfernen, was er damit begründete, dass "alle, denen das
nicht gefällt, sich selbst ins Knie ficken können". Oder
der Skandal auf dem Festival der Poesie im Achmatova-Museum, bei dem
Brener während seines Auftrittes eigentlich sehr richtig
konstatierte, das alle Werke, die man im Haus an der Fontanka
hören konnte, nicht Dichtung im eigentlichen Sinne seien, sondern
eigentlich nur ihr (der Dichtung) Unbewusstes. Diese Liste kann man
im Prinzip beliebig fortführen, da solche Ereignisse offensichtlich
zum Alltag Breners gehören und sich daher jeden Tag wiederholen.
Übrigens, Brener selbst hält sich nicht für eine skandalträchtige
Person oder für einen was fast das gleiche ist radikalen
Künstler.
Bestehend auf der politischen Ausrichtung aller seiner jüngsten
Aktionen, betrachtet er seine Auftritte als politischen Aktivismus.
Die Grundlage seiner Petersburger Aktionen bildet die Organisation eines
linksradikalen Seminars im Kulturzentrum in der Puschkinskaja 10.
Ob nun die Prügelei mit Chlobystin auch zu diesem verkündeten
Programm politischer Aktionen gehörte, ist schwer zu sagen. Mit
Vorbehalt kann man nur sagen, dass sie zum Teil der Geschichte der aktuellen
Kunst in St. Petersburg wurde sofort nachdem sie stattgefunden hatten.
Übersetzt von Sandra Frimmel(Berlin)