28.August 2005
Ausstellungen
Theater der Grausamkeit in real time
[Maxim Rayskin]
Ein Raum für Elektroschockbehandlungen, halluzinatorische
Labyrinthen, die vom Fußboden bis zur Decke vom Spiegelstoff optisch
zerlegt werden, Durchgänge, in denen Dunkelheit es nur eine einzige
Lichtquelle gibt - die Texte, die auf die Wände projiziert werden.
Bis zum 16 Oktober sieht das Museum Kunst Palast in Düsseldorf
wie ein Ebenbild einer psychiatrischen Klinik oder ein Traum aus, der
aus Franz Kafkas oder Borges Seiten entstiegen ist.
"Montrage" als Ausstellungsmethode
Die
Ausstellung "Antonin Artaud – inszeniertes Leben" ähnelt
kaum einer gewöhnlichen Kunstshow. Selbstverständlich gibt
es hier alles, was es an solchen Retrospektiven geben sollte, d.h. viele
Zeichnungen von Artaud, seine Fotos, seine Tagebücher, seine Filme
und auch die Filme, in denen er mitspielte, die auf verschiedenen Bildschirmen
gezeigt werden. Diese sollte man aber nicht nur als eine einfache Archivausstellung
betrachten.
Der Kurator der Ausstellung Jean Jacques Lebel nennt seine Ausstellungsstrategie
"Montrage", eine Wortkreuzung von "Montage" und
"Monstration". Der Begriff wurde zuerst vom französischen
Maler Robert Lapoujade eingeführt und später von Jilles Deleuze
aufgegriffen und erweitert. Das Ziel dieser Wortkreuzung ist es zu zeigen,
worüber an früheren Retrospektivausstellungen im New Yorker
Museum of Modern Art, im Pariser Musee national d'art moderne, im Musee
Cantini in Marseille und im Museum Moderner Kunst in Wien geschwiegen
wurde, und sie soll besonders auf die letzten Jahren des Erfinders des
Theaters der Grausamkeit, die Elektroschockbehandlungen und die totale
Einsamkeit, die ihn bis zum Tod begleitete, aufmerksam machen.
Wie ein Toter neben einem Lebenden...
"[...]
Der Elektroschock [...] bringt mich zur Verzweiflung. Er raubt mir das
Gedächtnis, er lässt mein Denken und mein Herz erstarren,
er macht aus mir einen Abwesenden der sich abwesend erlebt und wochelang
sein Sein verfolgt, wie ein Toter neben dem Lebenden, der nicht mehr
er selbst ist, der sein Kommen verlangt und bei dem er nicht mehr eintreten
kann. Nach der letzten Serie war ich den ganzen August und September
über völlig unfähig, zu arbeiten, zu denken und zu spüren,
dass ich bin. Dann habe ich jedes Mal diese entsetzlichen Persönlichkeitsspaltungen,
von denen ich Riviere in meinen Briefen berichte, die aber damals eine
unmittelbare Erfahrung waren und kein Todesgrauen wie bei der Elektroschock-Behandlung.
[...] Diese unbillige Behandlung löst mich von allem und vom Leben
los", schrieb Artaud an seinen Psychiater Dr. Jacques Latremoliere
am 6. Januar 1945 und bat ihn mit der Behandlung aufzuhören. Die
Bitten waren allerdings nutzlos. Die Behandlung wurde fortgesetzt, und
Artaud musste bis zu seinem Tod 51 Elektroschockbehandlungen ausgesetzt
werden.
Gesetzlich geregelte Ermordung
Der Körper als Quelle von Schriften, die Klinik als Alternative
zu den Filmen und den Zeichnungen sind die Gegenstände der Reflexion
der Kuratoren. Was mit dem Körper Artauds während seiner Behandlung
passierte, wird auch gezeigt. Ein Ausstellungsraum wurde nach allen
Regeln der psychiatrischen Mode der vierziger Jahre eingerichtet. Dort
steht das Zwangsbett mit den Gürteln, die dazu dienten den Patienten
festzubinden, das Bidet, das Spuckbecken, ein funktionierendes Elektroschockgerät.
Im Schrank liegen verschiedene Gummi- und Metallinstrumente, über
deren Gebrauch nur Ärzte Bescheid wissen. Es riecht sogar nach
Spital. In diesem Raum werden Röntgenaufnahmen Artauds vor und
nach seiner Behandlung ausgestellt. Man kann klar sehen, in welchem
Brei seine Rippen und Lungen transformiert wurden gemäß den
damals "fortgeschrittenen" Behandlungsmethoden gegen die Schizophrenie.
Ihm wurde nicht einmal die letzte Möglichkeit gegeben, seinen Tod
als Rettung betrachten zu können. Zu diesem Zeitpunkt war er überhaupt
kaum in der Lage etwas zu betrachten, er konnte nur noch mit Fäkalien
an der Krankenzimmerwand malen.
Gut kalkulierter Wahnsinn
"Das Streben nach Fäkalität" – eine Schrift
zum "Theater der Grausamkeit" - sowie die Gedichte, die im
Laufe der letzten Lebensjahre Artauds auf eine unverständliche
Sprache geschrieben wurden, sind an der Ausstellung von literarischen
Werken zu Kunstobjekten transformiert worden, und zwar handelt es sich
um weiße Buchstaben, die im schwarzen Raum unendlich projiziert
werden.
maizun goin
ehbe
maizun
goin
eneitira
ereibe
maizun goin
Artaud widmete sein ganzes Leben der Erfindung dieser Sprache, eine
Quintessenz von der Kabbala, dem Brahmanismus, der mittelalterlichen
Alchimie, der Philosophie Nietzsches und der altägyptischen Mythologie.
Diese Sprache operiert mit Worten und Gestalten, die im Alltagsleben
unverwischt bleiben, und es hat keinen Sinn zu versuchen, die wie alte
Manuskripte zu entziffern. Sie brauchen kaum Entzifferung, sondern eher
Mitwirkung, die laut Artaud der Grundstein der Kommunikation ist. Im
"Theater der Grausamkeit" wurde diese Mitwirkung wie ein Ritual
realisiert, wie eine Geste, die die Worte ersetzte.
Aus dieser Sicht sind die Kuratoren von "Antonin Artaud –
inszeniertes Leben" seine Nachfolger. Es wurden keine ausgeschilderten
Pfeile ausgehängt, es wurden keine vorgeschriebenen Ausstellungsführungen
vorgeschlagen. Stattdessen wird der Besucher in eine Art Delirium versetzt,
das aus Wörtern, Bildern, Lauten, und sogar aus Gerüchen besteht.
Sie versenken ihn in dem Labyrinth des Wahnsinns, in der Atmosphäre
schrecklicher Krankheiten wie die Pest, in der selbst Artaud ein Vorbild
für sein Theater sah.