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30.May 2002
Actual art

Performancekünstler verließ Russland
[Maxim Raiskine]

Der Petersburger Schriftsteller und Kunstler Sergej SpirichinDer Petersburger Schriftsteller und Künstler Sergej Spirichin hat Russland verlassen. Seine letzte Aktion vor seiner Abreise aus Moskau nach Wien war der Besuch des Grabs Vladimir Vysotskijs auf dem Friedhof des Jungfrauen-Klosters, das in ein nicht sanktioniertes Treffen mit den auf dem Friedhof ansässigen Obdachlosen überging.
Unter der Beobachtung einiger Augenzeugen, des Moskauer Künstlers Garri Zuch und seines Bruders Alexander Sukmanskij, die den Petersburger Schriftsteller auf seinem Besuch begeleitet hatten, traf Spirichin die Entscheidung über den Besuch des Grabs Vysotskijs überraschend beim Halt an einer Autowerkstatt. Hiernach sei Zuch und Sukmanskij keine andere Wahl geblieben, als ihn zum Friedhof des Jungfrauenklosters zu fahren. Der Besuch des Grabs Vysotskijs symbolisierte ihren Worten nach den Abschied von Russland. Die gesamte Aktion wurde mittels einer Fotokamera dokumentiert, in der sich allerdings - wie sich erst hinterher herausstellte - kein Film befand.
Als erstes ging Spirichin auf dem Friedhof zum Grab des bekannten russischen Fernsehjournalisten Vladislav Listev und legte Blumen von dessen Grab auf jenes des Poeten Vysotskij. Doch es gelang ihm nur, zwei Narzissen von einem Grab auf das andere zu legen, bevor seine Aktion von Obdachlosen unterbrochen wurde. Diese betrachteten ihn als „Fremden" auf ihrem Territorium und wollten ihm wohl eine Lehre erteilen. Doch es gelang dem Petersburger Künstler und Schriftsteller mit Hilfe einer glühenden Rede, sie davon abzubringen. Er erklärte ihnen, es ginge ihm hier nicht ums Geschäft, sondern um ein Denkmal zu Ehren „seines Freundes". Anschließend brachte Spirichin die Obdachlosen zu dem Grab Vysotskijs, wo sie sich in einer Reihe aufstellten und traurig die Köpfe senkten. Der Anblick der Obdachlosen, die mit Hüten neben dem Grab des Poeten standen, berührte den anwesenden Alexander Sukmanskij derart unangenehm, sodass er ihnen sogleich Respektlosigkeit vorwarf und sie als Ungläubige beschimpfte. Daraufhin verkündeten die Bewohner des Friedhofs, dass sie allesamt getauft seien und nahmen ihre Hüte ab.
„Eine Schuld begleichen" bei den Klassikern der Vergangenheit und der Gegenwart ist Sitte bei der Petersburger Künstlergruppe „Neue Stumpfsinnige", mit denen Sergej Spirichin eine langjährige Freundschaft verbindet. Vladimir Vysotskij steht jedoch nicht auf der Liste derjenigen Genies, die von anderen Mitgliedern dieser Gruppe, Vladimir Kozin und Vadim Fljagin, verehrt werden. Spirichin schloss sozusagen diese Lücke. Seine Schuld bei dem großen russischen Poeten begleichend, machte er sich auf nach Österreich.

Übersetzt von Sandra Frimmel(Berlin)



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