Der
Petersburger Schriftsteller und Künstler Sergej Spirichin hat Russland
verlassen. Seine letzte Aktion vor seiner Abreise aus Moskau nach Wien
war der Besuch des Grabs Vladimir Vysotskijs auf dem Friedhof des Jungfrauen-Klosters,
das in ein nicht sanktioniertes Treffen mit den auf dem Friedhof ansässigen
Obdachlosen überging.
Unter der Beobachtung einiger Augenzeugen, des Moskauer Künstlers Garri
Zuch und seines Bruders Alexander Sukmanskij, die den Petersburger Schriftsteller
auf seinem Besuch begeleitet hatten, traf Spirichin die Entscheidung
über den Besuch des Grabs Vysotskijs überraschend beim Halt an einer
Autowerkstatt. Hiernach sei Zuch und Sukmanskij keine andere Wahl geblieben,
als ihn zum Friedhof des Jungfrauenklosters zu fahren. Der Besuch des
Grabs Vysotskijs symbolisierte ihren Worten nach den Abschied von Russland.
Die gesamte Aktion wurde mittels einer Fotokamera dokumentiert, in der
sich allerdings - wie sich erst hinterher herausstellte - kein Film
befand.
Als erstes ging Spirichin auf dem Friedhof zum Grab des bekannten russischen
Fernsehjournalisten Vladislav Listev und legte Blumen von dessen Grab
auf jenes des Poeten Vysotskij. Doch es gelang ihm nur, zwei Narzissen
von einem Grab auf das andere zu legen, bevor seine Aktion von Obdachlosen
unterbrochen wurde. Diese betrachteten ihn als „Fremden" auf ihrem
Territorium und wollten ihm wohl eine Lehre erteilen. Doch es gelang
dem Petersburger Künstler und Schriftsteller mit Hilfe einer glühenden
Rede, sie davon abzubringen. Er erklärte ihnen, es ginge ihm hier nicht
ums Geschäft, sondern um ein Denkmal zu Ehren „seines Freundes".
Anschließend brachte Spirichin die Obdachlosen zu dem Grab Vysotskijs,
wo sie sich in einer Reihe aufstellten und traurig die Köpfe senkten.
Der Anblick der Obdachlosen, die mit Hüten neben dem Grab des Poeten
standen, berührte den anwesenden Alexander Sukmanskij derart unangenehm,
sodass er ihnen sogleich Respektlosigkeit vorwarf und sie als Ungläubige
beschimpfte. Daraufhin verkündeten die Bewohner des Friedhofs, dass
sie allesamt getauft seien und nahmen ihre Hüte ab.
„Eine Schuld begleichen" bei den Klassikern der Vergangenheit und
der Gegenwart ist Sitte bei der Petersburger Künstlergruppe „Neue Stumpfsinnige",
mit denen Sergej Spirichin eine langjährige Freundschaft verbindet.
Vladimir Vysotskij steht jedoch nicht auf der Liste derjenigen Genies,
die von anderen Mitgliedern dieser Gruppe, Vladimir Kozin und Vadim
Fljagin, verehrt werden. Spirichin schloss sozusagen diese Lücke. Seine
Schuld bei dem großen russischen Poeten begleichend, machte er sich
auf nach Österreich.
Übersetzt von Sandra Frimmel(Berlin)